Den Ungeübteren unter den Vogelfreunden, die manchmal fast verzweifeln bei dem Versuch, die Familien der Grasmücken, Schnäpper und Schmätzer etwa in Gesang und Aussehen zu unterscheiden, sei zum Trost gesagt, dass ihnen der Vogel des Jahres 2006 die Bestimmung leicht macht. Bereits Ende Dezember nämlich beginnen die Kleibermännchen ihr Revier mit lauten markanten Pfeiftönen, die sich gut merken lassen, abzugrenzen. Bei einem winterlichen Waldspaziergang kann man so den gewandten Kletterer schnell entdecken. Auch in Leverkusener Parks und Gärten, in denen alte Bäume noch nicht der Säge zum Opfer gefallen sind, ist er ein häufig anzutreffender Gast.

Kleiber sitzt auf einem Ast

Der Kleiber

Weitere unverwechselbare Merkmale dieses hierzulande einzigen Vertreters aus der Familie der Sittidae sind Gestalt und Färbung. Die Größe des Kleibers entspricht in etwa der einer Kohlmeise (12-15 cm), sein kompakter Körper jedoch, der große Kopf mit dem kräftigen spitzen Schnabel und der kurze Schwanz geben ein völlig anderes Erscheinungsbild. Rücken und Scheitel sind stahlblau gefärbt und heben sich wirkungsvoll von den kastanienbraunen Flanken ab, die beim Weibchen weniger intensiv sind; ein breiter schwarzer Augenstreif reicht von der Schnabelwurzel bis auf den Rücken.

Beim genaueren Beobachten fallen die relativ starken Füße mit den langen Krallen besonders auf. Mit ihrer Hilfe kann sich der Kleiber geschickt an der Oberfläche der Stämme bewegen und als einziger unter den heimischen Vögeln mit dem Kopf nach unten abwärts klettern – noch eine einprägsame Bestimmungshilfe also. Diese Technik, die ihm auch den Namen „Baumrutscherle“ eingebracht hat, ist hervorragend dazu geeignet, die Hauptbeute – Insekten und Insektenlarven – auch unter der nach oben abstehenden Rinde herausholen zu können.

Da Sitta europaea, wie der Kleiber wissenschaftlich heißt, nicht in den Süden zieht, muss er seine Nahrung im Winter auf pflanzliche Kost umstellen: Ölhaltige Baumsamen wie Bucheckern, Eicheln und Haselnüsse, die er problemlos mit seinem kräftigen Schnabel aufhämmert und gelegentlich auch als Vorrat in Astgabeln deponiert und zudeckt, gehören bis zum Frühjahr zu seinem Lieblingsfutter.

Bereits im März hört man zusätzlich zu den schrillen Pfiffen auch laute Triller, die aber mit Brutbeginn immer seltener werden, da nun das Weibchen, das sich um die Ausgestaltung einer geeignet erscheinenden Höhle kümmert, mit Nahrung versorgt werden muss. Selber zimmern kann der farbenfrohe Vogel nicht – auch wenn er oft Spechtmeise genannt wird – weshalb er „vorgefertigte“ Höhlen bevorzugt und damit unter starken Konkurrenzdruck durch Meisen, Feldsperlinge und Stare gerät. Aber da er neben seinen artistischen Kletterkünsten auch die Technik des Mauerns oder Klebens – daher der Name Kleiber – hervorragend beherrscht, kann er seine eigenen Vorstellungen über die Fluglochgröße problemlos in die Tat umsetzen: Erdklümpchen werden mit kurzem Druck an die Unterlage geklebt und durch Klopfen befestigt, bis die Öffnung so klein ist, dass seine Konkurrenten nicht hindurch passen. Dafür nimmt er sogar manchmal in Kauf, in über 1000 Flügen 1,5 Kilo Material heranzuschaffen. Aber die Mühe lohnt sich, denn so drohen dem Gelege und der späteren Aufzucht der 5-8 Jungen weniger Gefahren durch Nesträuber.

Nach Schätzungen von Ornithologen gibt es in Deutschland zwischen 600.000 und 1,4 Millionen Brutpaare dieses bemerkenswerten Vogels; auch im übrigen Verbreitungsgebiet, das sich auf den gesamten eurasischen Bereich erstreckt (Ausnahme: der Norden der skandinavischen Länder und Irland, Schottland und Island), ist der Bestand gesichert. Mit der Wahl zum „Vogel des Jahres“ wollen der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Landesbund Bayern (LBV) auf die Schutzwürdigkeit des Lebensraums „Buchen- und Eichenwald“ hinweisen, der auch dem „Maurermeister“ das Überleben sichert. Nachhaltig bewirtschaftete Wälder, in denen auch tote Bäume einen Platz haben, sind für viele Greifvögel und Spechtarten, für Baumläufer, Schnäpper und eben auch Kleiber unverzichtbar und bieten uns Menschen Erholung.

Es wäre schön, wenn die Leverkusener Bürger sich auch nach dem bedauerlichen Wegfall der Baumschutzsatzung um den Schutz von starken, aber auch geschwächten oder gar faulen Bäumen kümmern würden; der Anblick des faszinierenden Vogels lohnt die Mühe bestimmt.

Kleiber hat einen Nistkasten mit Lehm fest an einem Baum geklebt

Extremer Maurermeister

Diesen Nistkasten hat ein Kleiber in Leverkusen regelrecht „an den Baum geklebt“ – und das gleich an beiden Seiten!

Wir haben ihn bei unseren Nistkastenkontrollen gefunden – ein wahres Meisterwerk! Dass Kleiber die Eingänge von Nistkästen verkleinern war uns bekannt, aber diese akribische Bauweise ist uns bisher auch noch nicht untergekommen.