Der Zaunkönig

Wie nennen Sie den Zaunkönig, diesen Zwerg, der in einem Meter Entfernung viermal so laut klingt wie ein Staubsauger und der gerne König der Vögel werden wollte? Zaunsänger oder Tannkönig, Mäusekönig oder  Zaunschnerz, Backöfelchen oder Stippsterz, Däumling oder Zaunschlüpferlein? Lange Zeit wurde er auch Schneekönig genannt, weil er uns auch im Winter mit seinem Lied erfreut. Er selber zieht vielleicht seinen lateinischen Namen vor: Troglodytes troglodytes

Zaunkönig

Es wollten einst die Vögelein
beherrscht von einem König sein
und luden alle groß und klein
zum königlichen Wettflug ein.
Und alle schwangen sich empor,
doch allen tat’s der Adler vor.
Schon huldigt ihm der Vögel Chor,
als plötzlich unter ihm hervor
der allerkleinste Vogel flog
und ihn ums Königtum betrog.

Es hatte nämlich dieser Kleine
euch zwischen seine großen Beine,
von ihm und allen unentdeckt,
bis dahin listig sich versteckt
und flog gar kecklich jetzt hervor,
tat’s sonder Müh dem Adler vor
und wollte selbst nun König sein.
Er ward‘s – allein zu seiner Schande.

 

Denn alle Vögel, groß und klein,
verhöhnten ihn im ganzen Lande.
Wohin er flog, da flog die Schmach
dem kleinen Vogel spottend nach.

Da fühlte seine Majestät,
wie schlecht erlog’ne Würde steht;
und wohnt seitdem, um vor der Spötter Necken
geschützt zu sein, in Zäunen und in Hecken.

Joachim Heinrich Campe (1746-1818)